#DigitalMindsKA – die Köpfe hinter karlsruhe.digital: Jan Wiesenberger
Die Initiative karlsruhe.digital vereint Karlsruher Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Verwaltung mit dem Ziel, Karlsruhe als Motor der Digitalisierung voranzutreiben – für Wettbewerbsfähigkeit, Lebensqualität und Souveränität. Sie bündelt Expertenwissen, fördert Vernetzung und bearbeitet Themen ganzheitlich, um die digitale Zukunft der Stadt aktiv zu gestalten.
Dahinter stehen Menschen. Menschen, die sich engagieren, für etwas brennen und genau deshalb ihre Zeit, ihre Ideen und ihr Fachwissen einsetzen. Wer diese Menschen, die digitalen Köpfe, sind, möchten wir sichtbar machen. Einmal im Monat fragen wir die Digital Minds danach, was sie antreibt und welche Visionen sie haben.
Im vierten Teil unserer Reihe besuchen wir Jan Wiesenberger, Vorstand des Karlsruher FZI Forschungszentrums Informatik und Leiter des Arbeitskreises lnnovationstransfer bei karlsruhe.digital.
Normalerweise nutzen wir mitten im Winter die Straßenbahn, um zu unseren Terminen zu fahren. Doch heute sind wir mit dem Fahrrad unterwegs, die Sonnenbrille auf der Nase. Obwohl gerade einmal Februar ist, strahlt uns bei frühlingshaften Temperaturen die Sonne ins Gesicht. Wir passieren die Hoepfner Burg, in der CyberForum und CyberLab ihren Sitz haben – und können in der Ferne bereits ein reges Treiben auf dem Gelände des Karlsruher FZI Forschungszentrums Informatik beobachten.
Für unser Treffen mit Jan Wiesenberger haben wir uns nämlich nicht irgendeinen Tag ausgesucht, sondern das FZI Open House 2023. Einen Tag lang öffnet das FZI unter dem Motto „Innovationen für die gesellschaftlichen Herausforderungen“ seine Türen für Besucher*innen, die dort den Transfer von Technologie und Wissen anhand aktueller Forschungsprojekte hautnah erleben können.
Als wir um 11 Uhr das FZI House of Living Labs betreten, kommt uns Wiesenberger auch schon entgegen. Gerade erst hat er vor vollbesetztem Haus das FZI Open House 2023 mit einer Rede feierlich eröffnet, jetzt nimmt er sich Zeit für uns. Zuerst müssen wir aber noch die Straßenseite wechseln, denn sein Büro befindet sich gegenüber im Hauptgebäude des FZI.
Karlsruhe – IT-Hochburg mit Lebensqualität
Wir nehmen in einem großzügigen Konferenzraum Platz. Während Wiesenberger uns einen Espresso zubereitet, beginnen wir das Interview mit der Frage, die wir allen Digital Minds stellen: Der erste Gedanke, wenn es um „Karlsruhe“ geht.
Er lächelt, stellt den Espresso neben unserem Notizblock ab, geht zum Fenster und lässt ein paar Sonnenstrahlen durch die Jalousien blitzen: „An heiße Sommer! Viele würden jetzt wahrscheinlich mit klassischen Begriffen wie IT-Hochburg, Residenzstadt oder Stadt des Rechts antworten. Aber als ich damals als junger Student nach Karlsruhe kam, fiel mir sofort auf, wie unglaublich warm und schön die Sommer im Rheintal sind. Mein erster Sommer hier hatte fast schon Urlaubsqualität. Diese Erinnerung hat sich bei mir im Gedächtnis eingeprägt, und sie kommt immer wieder auf, wenn ich das Wort Karlsruhe höre.“
Studiert hat der heute 45-Jährige Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe, dem heutigen Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Nach seinem Diplom forschte er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Bereichsleiter in der Abteilung Software-Engineering am FZI, ursprünglich mit dem Ziel zu promovieren. Stattdessen folgten dann aber zahlreiche weitere Stationen und Rollen innerhalb des FZI, bis er Ende 2014 zum geschäftsführenden Vorstand berufen wurde.
„Seit ich 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans FZI kam, hat sich gerade im Hinblick auf den digitalen Wandel sehr viel verändert. Und damit meine ich nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch die Einflüsse der Technologien auf die Gesellschaft, vor allem auf unser Privat- und Berufsleben. Das sehe ich ganz gut an den Studierenden am FZI. Die Informationsverfügbarkeit und Mediennutzung sind inzwischen eine ganz andere,“ erzählt uns Wiesenberger.
Neue Technologien erfordern Adaption, Transfer und Partizipation
Allerdings beobachte er zunehmend ein Ungleichgewicht. Auf der einen Seite sei da die extreme Geschwindigkeit, in der neue Innovationen und Technologien hervorgebracht werden. Eine Geschwindigkeit, die Teile der Gesellschaft überfordere. Auf der anderen Seite laufe vieles noch extrem langsam ab. Wiesenberger schmunzelt: „Dafür, dass wir ein Informatikinstitut sind, haben wir immer noch viel zu viel Papier, das dann mit unter auch noch per Hauspost durch die Gegend geschickt wird.“ Dennoch gehören natürlich auch am FZI moderne Arbeitsformen wie Home Office und Remote Work inzwischen zum Alltag. „Ich höre immer wieder, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter*innen zurück ins Büro holen, weil sie Angst vor Kontrollverlust haben. Ich dagegen bin der Meinung, dass man mit übermäßiger Kontrolle überhaupt nichts verändert. Diejenigen, die im Büro gerne arbeiten, tun dies auch im Home Office. Und umgekehrt. Deshalb setzen wir auf eine Kultur des Vertrauens. Und das funktioniert sehr gut.“
Um Vertrauen und Zusammenarbeit auf Augenhöhe geht es auch bei der Initiative karlsruhe.digital, bei der Wiesenberger den Arbeitskreis Innovationstransfer leitet. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Verwaltung innerhalb Karlsruhes ein Umfeld schaffen können, das nicht nur Innovationen hervorbringt, sondern diese auch zu marktreifen Produkten und Dienstleistungen weiterentwickelt. „Das viel zitierte Karlsruher Prinzip der kurzen Wege spielt dabei eine wichtige Rolle,“ betont Wiesenberger. „Wir kennen uns hier alle und arbeiten Hand in Hand. Wenn sich unerwartet eine neue Gelegenheit ergibt, können wir Dinge unbürokratisch und schnell auf den Weg bringen. Das ist ein riesiger Vorteil gegenüber anderen Standorten und trägt viel dazu bei, dass Innovation und Innovationstransfer inzwischen zum Markenkern der Fächerstadt geworden sind.“
Allerdings sei auch der Blick über den Tellerrand wichtig. Bereits seit 2011 unterhält das FZI deshalb eine Außenstelle in Berlin, eine Art Schaufenster für den Digitalstandort Karlsruhe, die die Zusammenarbeit mit Bundesministerien sowie wichtigen Verbänden und Organisationen ermöglicht. „Von dem daraus resultierenden Austausch profitieren alle, denn obwohl gerne mal so getan wird, als ob Karlsruhe und Berlin als Digital- und Start-up-Standorte in Konkurrenz stehen, ist das nicht der Fall,“ erklärt Wiesenberger. „In der Bundeshauptstadt liegt der Fokus auf B2C-Innovationen, während wir hier in Karlsruhe den Schwerpunkt auf den B2B-Bereich und die Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Produktion legen.“
Transfer von Technologie und Wissen live erleben
Klingt alles sehr theoretisch – und genau deshalb entschließen wir uns, unser Gespräch bei einem Rundgang über das Gelände des FZI House of Living Labs fortzusetzen, wo man heute beim Open House den gerade angesprochenen Transfer von Technologie und Wissen live erleben kann.
Für Wiesenberger ist dieser Blick hinter die Kulissen, den auch Veranstaltungen wie die Bunte Nacht der Digitalisierung ermöglichen, enorm wichtig. „Es geht dabei vor allem um Sichtbarkeit und Partizipation. Die digitale Transformation ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess und kann nur gelingen, wenn wir es schaffen, alle mitzunehmen.“ Er zückt sein Smartphone und zeigt auf einen App-Icon: „Bei der Entwicklung der Karlsruhe.App war ich beispielsweise von Anfang an involviert, weil sie für mich das perfekte Tool ist, um die Bürgerschaft bei der Digitalisierung mitzunehmen. Einerseits werden dort Informationen und perspektivisch auch Dienstleistungen bereitgestellt, andererseits bietet sie den Bürger*innen die Möglichkeit, an der Weiterentwicklung der Stadt zu partizipieren. Diese Teilhabe ist wichtig, damit die Bürgerschaft in einer digitalen Welt enger zusammenwächst und sich mit ihrer Stadt identifiziert.“
Als wir vom Smartphone wieder aufblicken, kommt plötzlich rein Roboter auf uns zu gelaufen, der optisch stark an einen Hund erinnert. Hinter ihm zieht ein weiterer Roboter mit langem Greifarm seine Runden auf dem Rasen des FZI House of Living Labs. Weiter hinten diskutieren einige Entwickler mit interessierten Gästen über das Potenzial autonomer Fahrzeuge und erklären ihnen die dafür notwendigen Technologien. Zudem vertreten ist einer der automatisierten Mini-Busse, die seit Dezember erneut im Testgebiet Weiherfeld-Dammerstock verkehren und bei Bedarf via App für eine kostenlose Fahrt gebucht werden können.
Zukunftstechnologie Künstliche Intelligenz – Chancen aus Karlsruhe
Vieles von dem, was wir heute beim FZI Open House sehen, wird überhaupt erst durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) möglich. „KI-Anwendungen sind schon heute im Alltag vieler Menschen präsent, teilweise ohne dass sie es wissen. KI hat das Potenzial, unser Leben in vielen Bereichen zu verbessern. Ich würde sogar so weit gehen, von einer Zeitenwende zu sprechen,“ erläutert Wiesenberger. Er hält kurz inne und lässt seinen Blick über das Gelände schweifen. Mit etwas nachdenklicherer Miene fährt er fort: „Dennoch darf KI nicht zu einer Blackbox werden, die das Auseinanderdriften innerhalb unserer Gesellschaft noch verstärkt. Wir müssen alle Menschen befähigen, die Technologie zu verstehen, aber auch ihre Gefahren und Limitationen bewerten zu können. Denn nur dann kann die Gesellschaft KI-Anwendungen sinnvoll nutzen und von ihnen profitieren.“
Mit anderen Worten: Weder das Themenfeld der Künstlichen Intelligenz noch die Digitalisierung insgesamt dürfen singulär technisch betrachtet werden – und genau darin sieht Wiesenberger die große Stärke des Digitalstandorts Karlsruhe: „Aufgrund des permanenten Austauschs zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Verwaltung betrachten wir Innovationen und neue Technologien stets aus ganz unterschiedlichsten Perspektiven, und können sie so zum Wohle der Allgemeinheit weiterentwickeln.“
Mit dem Digital Hub Karlsruhe, welches u.a. vom FZI getragen wird, werden Start-ups aus dem Bereich KI mit Mentoring, Coaching und der Bereitstellung von Workspaces unterstützt. Daneben gibt der KI-Radar einen Überblick über die neuesten Trends und Anwendungsfelder der KI. Karlsruhe wird darüber hinaus im Jahr 2023 mit Partnern die KI Allianz Baden-Württemberg gründen, mit dem Ziel ein europaweit und international wettbewerbsfähiges und sichtbares Zentrum und Ökosystem für Künstliche Intelligenz für Baden-Württemberg zu schaffen.
In 30 Jahren wird Karlsruhe…
Und damit sind wir auch schon fast am Ende unserer Gesprächszeit angekommen. Zum Abschluss lädt uns Wiesenberger zu einem kleinen Snack an einem der zahlreichen Food Trucks ein. Wir nutzen die verbleibende Zeit, um herauszufinden, was jemand, der den ganzen Tag von Robotern, KI und anderen digitalen Innovationen umgeben ist, in seiner Freizeit macht. Wiesenberger erzählt uns, dass er passionierter Heimwerker, Bastler und Radfahrer ist. „Zur Arbeit gehe ich allerdings zu Fuß, da ich nur zehn Minuten vom FZI entfernt wohne. Ein Auto habe ich schon seit langer Zeit nicht mehr, nachdem ich irgendwann festgestellt hatte, dass mein altes drei Jahre lang nur in der Tiefgarage stand.“
Bevor wir uns verabschieden, stellen wir noch eine abschließende Frage, die wir allen Digital Minds stellen: „Werfen wir einen Blick in die Zukunft: In 30 Jahren wird Karlsruhe…“. Er grinst und blickt nach oben in den strahlend blauen Himmel: „In 30 Jahren wird es in Karlsruhe noch immer sehr schöne Sommer geben.“
Titelbild: Netzoptiomisten