#DigiWomenKA: Heike Brugger

von Katharina Iyen

Weibliche Vorbilder sind wichtig. Sie zeigen Möglichkeiten auf, sie helfen die eigenen Ziele zu definieren und aus Ihren Erfahrungen können wir lernen. In unserer Blogserie #DigiWomenKA trifft Katharina Iyen einmal im Monat ein solches Role Model aus der Karlsruher Digitalbranche, um mehr über sie, ihre Erfahrungen und ihr Engagement zu erfahren. Heute spricht sie mit Dr. Heike Brugger, Leiterin des Geschäftsfelds Energiepolitik im Competence Center Energiepolitik und Energiemärkte am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI.

Ich treffe Heike Brugger mitsamt liebevollem Vierbeiner am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI im Technologiepark in Rintheim. Die Räume des Instituts sind hell und offen gestaltet, sie gleichen einem Coworking Space: Viel natürliches Licht, eine loftartige Atmosphäre, bunte Gemälde und Grünpflanzen prägen den Ort. Hinter Bürowänden aus Glas sehe ich an großen Screens einige der Forschenden im Stehen arbeiten. Heikes süße Hündin Bascha passt perfekt in dieses entspannte Ambiente. In der offenen Küche macht mir die Wissenschaftlerin erstmal einen Tee, wir sind sofort per „Du“, die Stimmung zwischen uns ist sehr entspannt. Brugger ist mir sofort sympathisch, denn sie ist locker und wirkt mit ihrem offenen Lachen sehr herzlich.

Jetzt bin ich richtig neugierig auf meine Gesprächspartnerin und schon gespannt darauf, mehr zu erfahren. Geboren und aufgewachsen ist Heike Brugger am Bodensee. Ihr Vater ist, wie auch schon der Opa, Steuerberater. Beide stammen aus der Region Bodensee, während ihre Mutter, eine Bibliothekarin, aus dem Rheinland zuzog. Die rheinische Frohnatur zeigt sich also bei Brugger, trotz des Exils der Mutter, deutlich. Aber auch ihr Vater entspricht nicht unbedingt dem Klischee eines Steuerberaters, wie sie berichtet: „Vor meiner Geburt trampte mein Vater nach Algerien, meine Mutter mit dem VW-Bus durch Afghanistan.“ Der Erkundungsdrang und ihre Offenheit scheint ihr wohl in die Wiege gelegt worden zu sein.

Diese treten auch bei ihrer Ausbildung zutage. Ursprünglich absolvierte Heike Brugger ein Studium auf Lehramt für Mathe und Physik an der Universität Konstanz. „Mathematik hat mich immer begleitet, das logische Denken, Fragen zu stellen und darüber zu lernen“, erinnert sie sich. Aber Naturwissenschaften mit Mathe und Politik zu kombinieren, reizte sie zusätzlich. Aus diesem Interesse heraus machte sie Mathe und Politik schließlich zu ihren Hauptfächern, mit Physik im Nebenfach. „Ein breites Feld, in dem ich meine unterschiedlichen Interessen kombinieren kann, war mir wichtig, deshalb schrieb ich meine Abschlussarbeit über Energiepolitik“, ergänzt die Naturwissenschaftlerin. Auf das Staatsexamen folgte die Promotion in Politik- und Verwaltungswissenschaft mit einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung. 2018 führte ihre Arbeit und ihr Forschungsinteresse sie schließlich vom Bodensee in die Fächerstadt, wo sie als Senior Researcher am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI ist und seit März 2021 das Geschäftsfeldes Energiepolitik leitet.

DigiWomen Heike Brugger im Gespräch mit Katharina Iyen. Foto: Heike Brugger
#DigiWomenKA Heike Brugger im Gespräch mit Katharina Iyen. Foto: Heike Brugger

Neue Trends, Daten, Digitalisierung: Energiewende verstehen

Die Wahlkarlsruherin schätzt das städtische Flair und die vielen Grünflächen ihrer neuen Heimat, auch wenn sie den Bodensee und damit die Nähe zum Wasser vermisst. Als ich sie darauf hinweise, dass auch das Karlsruher Umland mit den Badeseen und der Alb so einiges an Gewässer zu bieten hat, winkt sie ab: „Ich bin sehr eingebunden. Zwar höre ich oft, wie schön die Karlsruher Umgebung ist, aber ich komme selten aus der Kernstadt raus. Seit letztem Jahr habe ich aber einen Garten im Pfinztal und hoffe sehr, dass sich das nun sukzessive ändert.“

Jetzt bin ich natürlich neugierig geworden und möchte mehr darüber wissen, womit Brugger so viel beschäftigt ist. Die Antwort ist beeindruckend: Regelmäßig spricht Brugger in Vorträgen, Radiosendungen und Podcasts zum Beispiel über den Energiebedarf von Social Media, Streaming-Diensten und Rechenzentren. Mit ihrem aktuellen Forschungsprojekt newTRENDs untersucht sie auf europäischer Ebene, wie neue gesellschaftliche Trends die Energienachfrage der Zukunft beeinflussen. Dies soll die Steuerung solcher Trends im Sinne des Pariser Abkommens sowie den langfristigen Klima- und Energiezielen der Europäischen Union durch politische Entscheidungsträger*innen verbessern. „In unserer Forschung geht es darum zu verstehen, was die zukünftige Energienachfrage beeinflusst, also unter anderem auch, was vermehrte Digitalisierung für die Energienachfrage bedeuten wird.“

Sie führt als Beispiel die sinnvolle Nutzung von Abwärme von Rechenzentren an: „Wir fragen uns: Welche Standards müssen Rechenzentren erfüllen? Welche Anforderungen können und müssen wir an sie stellen? Aber auch die Frage wie wir Machine Learning und die Arbeit mit großen Datenmengen für die Verbesserung unserer eigenen Arbeit nutzen können.“ Ihr Institut berät unter anderem die Europäische Kommission bei Verhandlungen zu neuen Richtlinien für Energieeffizienz. „Wir machen den Spagat zwischen Grundlagenforschung und Politikberatung. Einer der Forschungsschwerpunkte liegt auf Energienachfrage von Privathaushalten sowie Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt darauf, wie wir den Übergang zu einer digitalen, nachhaltigen Welt auch sozial gerecht gestalten.“

Katharina Iyen besucht Heike Brugger im Fraunhofer-Institut ISI in Karlsruhe und ist begeistert von der Atmosphäre. Foto: Heike Brugger.
Katharina Iyen besucht Heike Brugger im Fraunhofer-Institut ISI in Karlsruhe und ist begeistert von der Atmosphäre. Foto: Heike Brugger

Energiewende: Eine soziale Frage

Dass Verbraucher*innen in Echtzeit ablesen können, wieviel Strom oder Gas sie täglich verbrauchen, dafür stünden die Technologien bereit. Zwar seien sie ausgereift, würden aber durch Lobbyarbeit der Energie-Industrie blockiert. „Was unseren Energieverbrauch betrifft, sind wir ja alle irgendwie im Blindflug unterwegs. Ein Jahr später bekommt man die Abrechnung vom Vorjahr? Das ist nicht mehr zeitgemäß und intransparent. Dass ich keinen Zugriff auf meine eigenen Verbrauchsdaten habe, ist das Fatale an der Situation und muss sich ändern!“ erläutert Brugger. Daten spielen dabei eine zentrale Rolle. „Wir brauchen unter anderem ein viel stärkeres Recht an unseren Daten, so dass man in viel kürzeren Abständen sieht, was man für einen Energieverbrauch hat und welches Verhalten was bewirkt. Das ermächtigt uns als Konsument*innen.“

Damit knüpft sie an ein zentrales Thema ihrer Arbeit an. Die soziale Frage der Energiewende, denn an dieser unabdingbaren Notwendigkeit seien zentrale Fragen der sozialen Gerechtigkeit gekoppelt. „Wir können nicht sagen, wir machen jetzt Politik, die den Energieverbrauch reduziert, ohne uns wirklich anzuschauen, was sich wie auf welche Bevölkerungsgruppen auswirkt und wer was verbraucht.“ Mit ihrer Arbeit wolle sie dazu beitragen, die Energiewende auf eine inklusive Art zu gestalten. Eine nachhaltige Gestaltung des Lebens und des Alltags dürfe kein Privileg für Wenige sein. Ihr Antrieb sei es, die Energiewende für alle zu schaffen. Und das meint sie wörtlich: „Das bedeutet aber eben auch die SUV-Fahrer*innen mitzunehmen.“

Stärken und Schwächen

Ich möchte wissen, woher die Tochter eines Steuerberaters und einer Bibliothekarin, eine Frau mit akademischen Familienhintergrund, ihr starkes Interesse an sozialer Gerechtigkeit ableitet. Sie erklärt dies mit ihrem Lebensweg. „Nach dem Abitur ging ich für acht Monate nach Ghana zum Freiwilligendienst – und kehrte schwanger zurück. Zuerst stand ich unter Schock, mit 18 Jahren hat das meine Pläne durcheinandergewürfelt. “Durch ihre Familie erhielt sie jedoch großen Rückhalt, der ihr half, Ihre Karriere weiter zu verfolgen. „Ich wusste, dass Mutterschaft für mich nicht bedeuteten würde meine Ambitionen aufzugeben. Dafür bin ich meinen Eltern sehr dankbar.“

Heike Brugger hat eine interessante Lebensgeschichte, die sie sensibilisiert hat für eine verantwortungsvolle Führungsrolle, in der sie besonders weibliche Kolleginnen fördert. Foto: Heike Brugger
Heike Brugger hat eine interessante Lebensgeschichte, die sie sensibilisiert hat für eine verantwortungsvolle Führungsrolle, in der sie besonders weibliche Kolleginnen fördert. Foto: Heike Brugger

Dankbar ist sie auch dafür, dass sie durch ihre Familie einen Schutzraum hatte, der sie vor negativen Reaktionen abschirmte. „Heute bin ich gefestigt, aber damals wäre ich sehr betroffen gewesen und weiß nicht, wie sich dies auf mich ausgewirkt hätte.“ Natürlich prägt so eine Erfahrung. Ich möchte wissen, wie Brugger durch diese Erfahrungen geformt wurde, welche Stärken sie durch ihre Erlebnisse ausbilden konnte.

Lächelnd erklärt sie nach kurzer Überlegung: „Netzwerken und vernetztes Denken, Zusammenhänge herstellen und Synergien schaffen, das sind definitiv Stärken.“ Besonders stolz sei sie darüber hinaus auf ihr abgeschlossenes Studium, ihre Promotion und ihre Karriere am Fraunhofer Institut. Insbesondere, weil sie seit dem dritten Lebensjahr ihrer Tochter alleinerziehende Mutter ist. „Ich bekomme viel Wertschätzung von meinem Team und Doktorand*innen. Sie fühlen sich mit ihren Belangen von mir gesehen, das ist mir sehr wichtig und freut mich.“ Beim Thema Zeitmanagement sieht Brugger allerdings noch Verbesserungspotenzial, häufig verkalkuliere sie sich, brauche länger, als angenommen. „Ich schiebe es ja drauf, dass ich zu optimistisch bin – ich plane immer für den bestmöglichen Fall!“, ergänzt sie.

Attraktivität von MINT-Berufe für Frauen steigern

Auf das Thema der alleinerziehenden Mutter möchte ich gerne nochmal zurückkommen. Denn es scheint mir, als nehme Brugger damit tatsächlich eine Sonderstellung ein. Frauen sind in MINT-bezogenen Berufen ja ohnehin noch immer deutlich unterrepräsentiert. Ich möchte gerne wissen, wie es aus ihrer Sicht gelingen kann MINT-Berufe für Frauen zugänglicher zu machen. Als zentrale Stellschraube benennt sie allem voran die Sichtbarkeit und Förderung zu sein. „Trotz vieler Menschen in meinem Umfeld, Chef*innen und Kolleg*innen, die mich unterstützt haben, war es selten so, dass mir eine neue Rolle wirklich proaktiv angeboten wurde.“ Ihr Doktorvater ging davon aus, dass sie mit Staatsexamen sowieso nicht promovieren kann. Er kam deshalb gar nicht auf die Idee, seine Studentin danach zu fragen. „Als ich nachhakte, kam bei ihm erst die Erkenntnis, dass ich ja auch Mathe und Physik studiert hatte und damit wertvolle interdisziplinäre Kenntnisse mitbringe.“

Sie befürchte, Frauen könnten dadurch, dass häufig männliche Kollegen den Vorrang haben, wichtige Chancen verpassen, wenn sie sich nicht selbst auf den Radar der Vorgesetzen brächten. Das sei allerdings nicht zielführen und eigentlich Aufgabe der Führungskraft. Sie möchte deshalb in Ihrer Position mit guten Beispiel vorangehen und das sensibler handhaben: „Ich achte verstärkt darauf, Frauen aktiv anzusprechen, Angebote und Vorschläge zu machen, auch – oder gerade – wenn die männlichen Kollegen sich die ein oder andere Chance einfach greifen möchten. Und natürlich ermutige ich Frauen dazu, sich selbst vorzuschlagen.“

Titelfoto: Heike Brugger