#DigiWomenKA: Larissa Eger
von Katharina Iyen
Innerhalb der Top 100 der deutschen Logistikunternehmen findet sich nur bei 18,6 Prozent der Unternehmen eine Frau in der Geschäftsführung, zitiert die Website der Fachmesse „transport logisitic“ eine aktuelle Studie zu Frauen in der Logistikbranche. Interessant seien dabei aber auch die Tätigkeitsbereiche, denn aktuell fänden sich Frauen in der Logistik noch immer überwiegend in klassischen Bürojobs, etwa im Controlling, im Einkauf oder in der Personalabteilung. Dabei biete der Wirtschaftsbereich Logistik durch sein stetiges Wachstum und die verstärkte Einbindung hochwertiger Logistikdienstleistungen in die Wertschöpfungskette von Industrie und Handel vielfältige Karrieremöglichkeiten für Männer und Frauen. Hier spielen weibliche Vorbilder eine ganz entscheidende Rolle. Sie zeigen Möglichkeiten auf, die es da draußen in der Welt gibt, sie helfen die eigenen Ziele zu definieren und aus Ihren Erfahrungen können wir lernen. In unserer Blogserie #DigiWomenKA trifft Katharina Iyen einmal im Monat ein solches Role Model aus Karlsruhe, um mehr über sie, ihre Erfahrungen und ihr Engagement zu erfahren. Heute spricht sie mit Larissa Eger, Mit-Gründerin des Logistik-Start-ups NeoCargo.
Ich treffe Larissa Eger in der Hoepfner Burg. Dort ist die NeoCargo AG niedergelassen. Im Erdgeschoss finde ich mich nicht gleich zurecht. Ein freundlicher junger Mann, den ich zufällig im Gang treffe, bringt mich mit seiner Chipkarte direkt ins Office. Vor Ort atme ich sofort Start-Up-Luft ein: Eine große offene Küche bildet das Herz der Räumlichkeiten. Stylische Telefonboxen und Fotos von NeoCargo- und CyberForum-Mitarbeitern verzieren die Wände. Larissa und ich begrüßen uns ungezwungen und sind sofort per Du. Unser Interview führen wir am riesigen Tisch der offenen Küche, die Atmosphäre ist bodenständig und wertschätzend.
Die junge Vertriebsvorständin, die aktuell noch an ihrer Doktorarbeit zu mathematischer Preismodellierung für dynamische Plattformen arbeitet, stammt ursprünglich aus Hildesheim bei Hannover. „Ich wusste am Gymnasium nicht, was ich studieren sollte, war aber begabt in Naturwissenschaften und hatte Mathe als Leistungskurs, das bildete meine Marschrichtung.“ Schließlich entschied sie sich für einen Bachelor in International Business in Paderborn. „Ich besuchte Kurse zu Logistik sowie IT und fand die Inhalte total cool – viele Freund*innen machten eher Marketing oder HR, wir Frauen in den Technischen Kursen waren schon Exotin*innen!“ schmunzelt sie. Dass sie einen Doktor machen würde, wusste sie schon ab dem Bachelor: „Dass ich promovieren werde, sagte ich tatsächlich schon am ersten Tag des Bachelor-Studiums – ich wollte das unbedingt!“
Beim Auslandssemester in der schwedischen Stadt Linköping besuchte sie den Kurs Entrepreneurship und fand die Konzeption von Business-Modellen sehr inspirierend. „Ich dachte damals aber noch nicht, dass ich irgendwann ein Unternehmen gründe“, erinnert sich Eger. Für den Master in Value Chain Management ging sie an die technische Uni Chemnitz und musste sich neu einfinden: „Der Wechsel von Paderborn nach Chemnitz war leistungstechnisch anspruchsvoll, das Studium beinhaltete Logistik, Controlling und sehr viel Mathe.“
Während Bachelor- und Master-Studium legte Larissa zahlreiche Praktika bei namenhaften Konzernen im In- und Ausland hin. Ihre Expertise und Fachtiefe beeindrucken mich während des Interviews immer wieder. „Um zu sehen, wie sich die Theorie im Alltag verhält, habe ich sehr viele Praktika gemacht – da liegen ja dann oftmals Welten dazwischen“, bemerkt sie. Bei Bosch absolvierte sie ein sechsmonatiges Praktikum in den USA. “Das ist logistisch anders als in Deutschland, die haben dort ganz andere Strecken, die sie bewältigen müssen“, erklärt Eger. Sie machte ein Auslandssemester in Australien und Praktika bei einem pharmazeutischen Mittelständler sowie BMW-Regensburg. „Bei BMW durfte ich Teilenummern für Südafrika und China steuern. Internationale und sehr komplexe Supply-Chains kennenzulernen war für mich superspannend“, schwärmt die Co-Founderin.
Die Idee zu gründen war spontan – und gelang
Eine #DigiWomanKa wurde die Promovierende dann doch eher spontan. Sie lernte Prof. Dr. Ing. Kai Furmans, Dekan der Fakultät für Maschinenbau am KIT, mit Lehrstuhl am Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme, kennen. Bei ihm schreibt sie aktuell ihre Dissertation: „Das KIT war für mich dann nochmal anspruchsvoller als Chemnitz, also wieder eine Schippe obendrauf – ich war jetzt schließlich an einem Lehrstuhl für Maschinenbau gelandet“, erläutert sie amüsiert.
Die Freiheit in der Forschung und die Bündelung in der Beratung sieht sie in krassem Kontrast – und liebt beides. Irgendwann traf eines aufs andere: „Während der Pandemie kam am KIT ein Bund mittelständischer Speditionen auf uns zu – mit dem Bedürfnis, ihre Prozesse zu digitalisieren. Es gab dann ein Beratungsprojekt, mit mir als Projektmanagerin.” Während vieler Gespräche und Workshops mit den Speditionen hatten Larissa und ihr Co-Founder Dr. Felix Brandt die Idee für die NeoCargo-Plattformlösung – Brandt ist bei NeoCargo zuständig für Technik und Vertrieb.
Eger erläutert: “Die Anforderungen an unternehmensübergreifende Zusammenarbeit wachsen immer weiter – und alle Betriebe haben im Grunde die gleichen Herausforderungen, die sich nur durch eine gemeinsame digitale Zusammenarbeit lösen lassen. Corona hat uns geholfen, in Arbeitskreisen schnell viele Speditionen zu Ihrem Alltag befragen zu können und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.” In die Entwicklung des Konzeptes investierten neun Arbeitskreise ein knappes halbes Jahr. Auf Nutzer*innen zentriertes Design war für die Entwicklungsteams erstes Gebot. „Wir fingen direkt im Feld an, ganz nah an den Kund*innen und entwickelten unsere Plattform in engem Austausch und vielen Feedbackschleifen – immer im Hinblick auf die echten Bedürfnisse und Anforderungen der Spediteur*innen.“ Ursprünglich sollte die NeoCargo AG eine Genossenschaft werden, aber diese Rechtsform war von den Prozessen her zu langsam. Die genossenschaftliche Struktur ist laut Larissa aber geblieben:
„Für Finanzierungsrunden und Investoren war eine Aktiengesellschaft das Richtige, so können wir irgendwann auch Dividenden an unsere Anleger ausschütten. Trotzdem gehören wir den Speditionen. Wir wollen, dass sie so viel wie möglich am Unternehmen halten, weil sie dann voll dahinterstehen und mit uns – von innen heraus – eine sinnvolle Branchenlösung gestalten.“Dass Vertrauen und Transparenz für NeoCargo das Wichtigste sind, betont die Co-Founderin auch in Sachen Datenschutz: „Die gewonnenen Daten gehörenden Speditionen, da wird nichts weiterverkauft.“
Die Vernetzungsplattform von NeoCargo
Das digitale Produkt der NeoCargo AG ist eine unabhängige Vernetzungsplattform für mittelständische Speditionen, die deren IT-Systeme verbindet, um unternehmensübergreifend zusammenarbeiten zu können. „Wir sind Schnittstelle und Plattform für die digitale Auftragsübergabe und liefern eine Infrastruktur für Informationsverteilung. Ziel der Software ist, unternehmensübergreifende Strukturen für Speditionen zu schaffen – ähnlich dem Telefonnetz.“NeoCargo ist also reiner Lieferant von digitaler Infrastruktur, sämtliche Inhalte liefern die Nutzer*innen selbst. Besonders bei Volatilitäten ist Vernetzung essenziell, lerne ich. Bei hoher Nachfrage oder Schwankungen können Spediteur*innen zum Beispiel Kapazitäten von anderen Speditionen dazukaufen.
Anschaulich
erklärt mir Eger: „Bei Corona war das zum Beispiel sehr krass der Fall, jeder
wollte auf einmal viel mehr Klopapier kaufen oder seinen Garten schön machen –
und plötzlich gab‘s kein Klopapier und keine Erde mehr, weil die Schwankungen
die Lieferketten durcheinanderbrachten und man, gerade in solchen Situationen,
mehr Laderaum durch die Zusammenarbeit mit anderen Speditionen benötigt. Genau
an diesem Punkt kommen wir ins Spiel.“
Mit der Neo-Cargo-Lösung können Spediteur*innen Aufträge versenden, um ihre
Kund*innen flexibler zu bedienen. In Betrieben bereits vorhandene
Transport-Management-Systeme (TMS) werden von NeoCargo an die Plattform
angebunden.
Klare Vision für die Zukunft
„Kleinere Speditionen verfügen oftmals gar nicht über TMS-Systeme“, führt Larissa aus. „Unsere Vision ist, auch für sie eine Web-Oberfläche zu schaffen, damit sie ebenfalls Teil der Lösung werden können. “Die Zukunft von NeoCargo sieht die Vertriebsvorständin in der Gesamtabdeckung von Auftragsstatus. Sie erklärt: „Wir wollen die Infrastruktur schaffen, alles Umliegende anschließen zu können, egal ob zum Beispiel Lager, See-Terminal oder Air-Flight. Ich sehe uns eher in Europa – und international dann Hand in Hand mit Lösungen aus anderen Kontinenten, verzahnt eben, ein großes, offenes System.“ Nachhaltigkeit liegt der jungen Gründerin ebenfalls sehr am Herzen, insbesondere die Optimierung von Supply Chains. „Digitalisierung hört weder an der Ländergrenze noch im eigenen Unternehmen auf – alle Player sind gefragt und müssen zusammenarbeiten.“ Innerhalb von Speditionen sieht sie noch viel Optimierungsbedarf: „Da gibt es alles, von Unternehmer*innen, die noch das Faxgerät benutzen, bis hin zu denen, die Auswertungen digitalisieren, also eine Meldung von ihrem TMS erhalten, wenn zum Beispiel Reifenprofile abgefahren sind und nachgekauft werden müssen.“
Die Logistik-Expertin wünscht sich ein einheitliches digitales Niveau für alle Speditionen: „Nur so können wir alles miteinander vernetzen. Die Notwendigkeit sehen die meisten schon, manchmal stehen traditionelle Unternehmenskultur oder Angst vor Veränderung noch im Weg – was verständlich ist. Wir von NeoCargo sind erst ein paar Monate am Markt – und andere 30 Jahre, da fällt es dem Gegenüber manchmal schwer nachzuvollziehen, warum gerade wir eine gute Lösung liefern können.“
Mehr diverse Fachkräfte für die Branche
Für die NeoCargo wünscht sich Larissa Eger noch viel mehr qualifizierte und diverse Bewerber*innen, um ein ausgeglichenes Team zu haben: „Fachkräfte zu bekommen ist schwierig – wir haben jetzt endlich eine Entwicklerin“, freut sich Larissa und fügt hinzu: “Diversität bedeutet für mich auch, dass wir alle Altersstufen, Nationalitäten und Orientierungen bei uns willkommen heißen und niemanden ausschließen.”
Ich möchte von der Vertriebsvorständin wissen, warum es immer noch zu wenig Frauen in der IT git. IT, Logistik und Spedition in Kombination ist laut ihr sehr männlich dominiert. Das zeigt sich für die gebürtige Hildesheimerin auch während ihrer Vertriebsarbeit: „Wenn ich Serienbriefe schreibe, ist meine Standard-Ansprache immer ‚Sehr geehrter Herr …‘. Bei den zwei Frauen, die auch einen Brief bekommen, ändere ich das von Hand ab.“ Lachend fügt sie hinzu: „Aber irgendwie ist das auch gut für mich – denn alle in der Branche merken sich meinen Namen. Ich bin eine Exotin, einfach nur, weil ich weiblich bin!“ Larissas Humor gefällt mir, sie ist sich ihrer Expertise bewusst und lässt sich von Hindernissen nicht aus der Ruhe bringen. Ich nehme sie als eine Frau mit Biss, Intelligenz und Humor wahr, die Hürden als machbare Herausforderung sieht – Unternehmer*innen-Geist eben.
Die Co-Founderin bringt sich für Sichtbarkeit von Frauen ein
An Karlsruhe schätzt Larissa Eger für Gründer*innen die Veranstaltungen des KIT: „Momentan bin ich Teil einer Fishbowl-Diskussion, veranstaltet von „Das Partizipations.Kit“. Frauen in der IT müssen sichtbar sein, damit andere in dem Feld erfolgreich Fuß fassen können. Gerade wenn sie in einer Findungsphase ihre mögliche Entscheidung noch anzweifeln und drohen abzuspringen, weil sie keine Role-Models finden.“ Auch die Netzwerk- und Infoveranstaltungen des CyberForum Karlsruhe gefallen Larissa. Schön fände sie ein Netzwerk-Angebot speziell für Gründerinnen in der IT-Branche – ein solches hat sie in der Region noch nicht finden können. „Cool wäre, einen Touch Point mit Erfahreneren und auch Student*innen zu haben. Ich kenne bis jetzt leider keine Gründer*innen aus der IT im Raum Karlsruhe.“ Über Hinweise zu entsprechenden Netzwerken freut sich Larissa.
Kontakt Larissa Eger
www.neocargo.de/
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