#DigiWomenKA: Verena Heusser

Verena Heusser Co-Founderin des Karlsruher Start-ups DishDetective

Von Katharina Iyen

Die Zahl der Gründerinnen legt zu. Diese Entwicklung zeigt der KfW-Gründungsmonitor 2022. „Nachdem sich die Zahl der Gründerinnen drei Jahre lang kaum veränderte, ist sie im vergangenen Jahr überdurchschnittlich stark gestiegen.“ Um ganze 25%, das belegt die Studie. Der Gründerinnenanteil liegt nun bei etwa 42%. Bei aller Euphorie, zur Wahrheit gehört damit aber auch, dass Frauen in der Gründer*innenszene immer noch unterrepräsentiert sind. Genau genommen, kommen auf sechs männliche Gründer vier weibliche Gründerinnen. Hinzu kommt: Frauen gründen nicht nur weniger, sie gründen auch anders. Besonders hinter kapitalintensiven Gründungen stehen deutlich seltener Frauen als Männer. An dieser Stelle nehmen weibliche Vorbilder eine ganz entscheidende Rolle ein. Sie zeigen Möglichkeiten auf, die es da draußen in der Welt gibt, sie helfen die eigenen Ziele zu definieren und aus Ihren Erfahrungen können wir lernen. In unserer Blogserie #DigiWomenKA trifft Katharina Iyen einmal pro Monat ein solches Role Model aus Karlsruhe, um mehr über sie, ihre Erfahrungen und ihr Engagement zu erfahren. Heute spricht sie mit Verena Heusser, Informatikerin und Mitgründerin des Startups DishDetective.

Ich besuche Verena Heusser Mitte Juli in der Südwest-Stadt. Schon im Treppenhaus kommt mir die junge Informatikerin lachend auf den Stufen entgegen. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem DishDetective-Logo. Die positive und natürliche Ausstrahlung der jungen Gründerin ist ansteckend, wir fühlen uns sofort wohl miteinander. Seit Februar 2022 lebt und arbeitet die Startupperin mit ihren Co-Foundern Tobias Kahlert und Robin Rüde in einer großen, zentral gelegenen Wohnung. Das Büro ist damit gleichzeitig eine Startup-WG.

Im großen WG-Wohnzimmer ist Berlin-Style angesagt: Die Schreibtische haben die Bewohner*innen lässig von allen Seiten zusammengeschoben, ein großes Rechteck als Arbeitsfläche – mit vielen Doppelbildschirmen bestückt – bildet das Office. In Regalen mit Lampen züchten die drei Gründer*innen um sich herum Kräuter und Salate – genauso auf dem Balkon, wo wir bei herrlichem Sonnenschein unser Interview führen.

Verena Heusser bietet mir einen selbstgemachten Eiskaffee an – den sie frisch in der Küche mixt. „Wohnen alle Gründer*innen von DishDetective hier?“, möchte ich schon im Flur von ihr wissen. „Nicht alle“, erklärt sie mir, „das originäre Team besteht noch aus Lukas Frank, der in Teilzeit bei uns arbeitet sowie Software-Entwickler bei SAP ist und Alina Roitberg, die uns seit der Projektphase am KIT begleitet.“

Die App DishDetective

„Wir sind ein bisschen das Shazam für Essen“, erklärt Heusser scherzend die App ihres Startups. Shazam ist eine Lied-Erkennungs-App. Möchte man einen Song identifizieren, der gerade läuft, erkennt die Anwendung innerhalb von Sekunden Namen und Interpret*in. „Wir wollen Menschen für ihr Essverhalten sensibilisieren und Genuss maximieren. Das heißt für unsere Nutzer*innen, nie wieder zeitaufwendiges Wiegen, Abmessen oder Zusammenrechnen von Kalorien“, freut sich Heusser.

Die neue App DishDetective entwickelt von Karlsruher Studierenden
Die neue App DishDetective geht bald mit einer Beta-Version an den Start. Foto: Robin Rüde und Verena Heusser.

Verschiedene Fitness-Tracker oder Smartwatches zeichnen Schritte, Stufen – also unsere Bewegung auf. Die Analyse und Auswertung der Daten erfolgt ebenso automatisiert. Wer diese Informationen direkt auf sein Essverhalten übertragen möchte, weiß, ganz so automatisch läuft das bisher nicht. Zahlreiche Apps unterstützen dabei, aufgenommene und verbrauchte Kalorien dem persönlichen Umsatz möglichst auszugleichen. Besonders interessant ist dies beispielsweise für Sportler*innen. Da das sogenannte Tracking von Kalorien und Makronährstoffen aber auch Aufschluss über schlechte Ernährungsangewohnheiten gibt, ist die Nutzung von Tracking-Apps mittlerweile weit verbreitet. Bisher bedeutet dies aber vor allem eines: Abwiegen, scannen und aufzeichnen. Die neue App DishDetective will hier für mehr Komfort sorgen. „Als positiver Nebeneffekt wird mehr Lebenszeit für andere Dinge frei“ so Heusser. Passend dazu lautet daher auch der Slogan von DishDetective: „Kalorientracking – spielerisch einfach“.

Das Geheimnis der digitalen Anwendung liegt in ihrer intuitiven Handhabung: Die App kann anhand eines einzigen Fotos alle grundlegenden Informationen über das Gericht herausfinden: Essensmenge in Gramm, Kalorien, Kohlenhydrate, Fett sowie Proteine. Ab Ende Juli ist die kostenfreie Beta-Version der DishDetective App verfügbar. „Wir freuen uns sehr über jede Anmeldung und auch Feedback“, ergänzt Heusser.

Welche Kosten auf Nutzer*innen zukommen, möchte ich nun gerne wissen. „DishDetective wird als Basisversion immer kostenfrei zur Verfügung stehen. In der Zukunft sehen wir Extras, wie ein Ernährungstagebuch über längere Zeiträume und diverse Analysen – dafür könnten wir uns monatliche Kosten von einem einstelligen Euro Betrag vorstellen.“

Im Team gibt es noch viel mehr Ideen für mögliche Weiterentwicklungen. Medizinische Einsatzmöglichkeiten sieht Heusser beispielsweise in „einer Entwicklung speziell für Diabetiker*innen“. Sogar Erweiterungen über das Tracking hinaus sind denkbar. „Soziale Anwendungen, die wir gestalten wie ein Matching-Verfahren bei Tinder, aber auf Basis von ähnlicher Esskultur – mit gemeinsamer Journey für die User*innen“, fügt Heusser motiviert hinzu. „Wir können uns ein Matching anhand von Essens-Präferenzen vorstellen, vegetarisch, vegan, glutenfrei oder bei spezieller Diät. Auch Chat-Austausch oder Socialising-Events, wie Koch-Treffen unter Gleichgesinnten, halten wir für extrem zukunftsfähig. Es ist wichtig, Menschen miteinander zu verbinden und so Inspiration und Mehrwerte zu schaffen.“ Und nichts verbindet bekanntlich besser als Essen.

Zur Informatik über sinnvolle Umwege

Doch wer steckt eigentlich hinter diesen vielen Ideen? Und was braucht es, um von der Idee zur Umsetzung zu gelangen? Ich möchte nun mehr über Gründerin Heusser wissen. Sie stammt ursprünglich aus Stuttgart Schorndorf, der Daimlerstadt. Sie erzählt mir auf dem Balkon, dass sie im Gymnasium eigentlich mit einem Studium im Kunstbereich liebäugelte. “Allerdings gab mir ausgerechnet meine Kunstlehrerin den Ratschlag, Disziplinen außerhalb meiner Komfortzone anzugehen“, schmunzelt sie. „Das war clever! Heute bin ich ihr sehr dankbar für diesen Input.“ Heusser absolvierte dann also zunächst einen Bachelor der Kognitionswissenschaft, mit hohen Anteilen Psychologie und Neurobiologie, in Tübingen. „Der Kern dieses Studiengangs ist der Anspruch, das menschliche Gehirn zu verstehen – ein Frauenthema, das sah man ganz klar an der Quote“, lacht sie.

Katharina Iyen und Verena Heusser im Interview. Foto: Robin Rüde.

„Computer-Zeug war eigentlich nicht so meins, den Einstiegspunkt fand ich übers Bachelor-Studium. Ich bemerkte, dass man eigentlich überall programmieren muss.“ Die Gründerin dachte damals um und entschied sich für einen Master in Informatik – im Herbst 2018 kam sie deshalb nach Karlsruhe ans KIT. Dass ihr Werdegang von Umwegen begleitet ist, sieht sie als Vorteil. „Ich finde gut, dass ich unterschiedliche Perspektiven kennengelernt habe. Das schenkt mir Klarheit: ich studierte Informatik nicht aufgrund von Talent, sondern weil ich die Herausforderung annahm. Und weil’s in dem Bereich noch zu wenige Frauen gibt!“ Die Stellschraube für mehr Frauen in IT und generell MINT-Berufen sieht sie an den Schulen und nicht an den Unis: „Frauen bekamen eher keine Empfehlungen für Mathe oder Informatik. Aber im Master war das Geschlecht egal, es ging um Inhalte und Performance, überhaupt nicht um Gender.“ Ähnliche Erfahrungen teilt auch unsere erste #DigiWomanKA Professor Kay-Margarete Berkling, die sich dafür einsetzt, dass Informatik ab der ersten Klasse der Grundschule und mit allen Fächern verzahnt unterrichtet wird und völlig unabhängig vom Geschlecht, ganz selbstverständlich für alle zugänglich ist.

Inspiration durch die KIT Ringvorlesung „Entrepreneurship“

Zum Unternehmertum wurde Heusser schließlich von der Ringvorlesung „Entrepreneurship am KIT“ inspiriert, die sie fächerübergreifend besuchte. „Die Vorlesung von Professor Dr. Orestis Terzidis, der auch Mentor für diverse Startups ist, war richtig gut“, schwärmt sie. Terzidis leitet das Institut für Technologiemanagement und Innovation „EnTechnon“ und begleitet einen Lehrstuhl für Entrepreneurship. „Zu einem Großteil der Sitzungen lud er Startups ein, die großartig pitchten und präsentierten. Im Anschluss konnte man die Startupper*innen mit allen möglichen Fragen löchern.“ Die praktische Interaktion und Unterstützung der Wissenschaft von jungen Startups am KIT beeindruckte sie als Master-Studentin nachhaltig.

„Ohne die Vorlesung von Orestis Terzidis wäre ich heute vermutlich nicht CO-Founder*in eines Tech-Startups“, fügt sie nachdenklich hinzu. „Eine mir noch fremde Welt wurde auf einmal nicht nur sichtbar, sondern auch konkret erlebbar.“ Im zweiten Master-Semester hatte Heusser mit Kommiliton*innen die Idee: Nährwerte per Foto auswerten. Denn, so sagt sie: „Essen berührt uns alle.“ Aus der Idee entstand im zweiten Informatik-Master-Semester zunächst eine Projektarbeit am KIT-Lehrstuhl „Computer Vision für Mensch-Maschine Interaktion“ von Prof. Dr. Rainer Stiefelhagen. „Innovationsmanager*innen vom Innovations- und Relationsmanagement kamen dann – mit unserer Publikation in Händen – auf uns zu und fragten, was wir jetzt daraus machen wollten“, freut sich Hesser noch heute über den Anstoß. „Das war schon sehr spannend und aufregend.“ Die Abteilung verzahnt Transfer und Kommunikation an Schnittstellen von Wirtschaft, Gesellschaft und KIT. „Ab da kam der Stein ins Rollen: das KIT-Support-Netzwerk, Funding-Generierung und Startup-Events wurden Teil unseres Alltags.“

Begeistert von Startup-Kultur und -Events in Karlsruhe

Von der Startup-Kultur und -Mentalität in Karlsruhe ist Heusser begeistert. „Man ist füreinander da, hilft sich gegenseitig, zum Beispiel mit komplexen Anträgen.“ Von der Unterstützung und Verzahnung in Karlsruhe für Tech-Startups profitiert auch ihr Team. „Man hat Hochschulen, CyberForum, ZKM und eine recht große Startup Szene – viele coole Veranstaltungen und großartige Digitalisierungsangebote.“ erlklärt sie. „Events wie das Gründergrillen der KIT-Gründerschmiede sind einfach Weltklasse. Ein großartiger lockerer Austausch mit anderen Startupper*innen bei gutem Essen. Besser geht’s nicht, oder?“ lacht sie und blinzelt mir vielsagend zu. Heusser betont immer wieder, die ihr sehr „sym-badische“ bodenständige Macher*innen-Mentalität der Region. „Der Fokus liegt am Anfang mehr auf intensiver Entwicklung als aufgeblasener Vermarktung – das bringt Produkte hervor, die technisch sauber sind.“

Beim Interview erfährt Katharina Iyen, dass es ohne eine Ringvorlesung am KIT, die App DishDetective vermutlich nie gegeben hätte. Foto: Robin Rüde.

Beim Flugtaxi- und Drohnen-Hersteller Volocopter beispielsweise hat sie im Master ein Praktikum gemacht. Dort traf sie auf genau diese Denkart: „Der hohe Fokus darauf, dass es funktioniert, hat mir gefallen – die Liebe zum extremen Tüfteln, das scheint mir sehr typisch für die Technologieregion Karlsruhe zu sein.“ Mehr über den Geist bei Volocopter konnten auch die Zuschauer*innen des InnovationFestival @karlsruhe.digital vergangenes Jahr erfahren, denn Chrisitan Bauer, Chief Commercial Officer von Volocopter, war mit seiner spannenden Keynote zu Gast auf der großen Bühne. Wer interessiert ist, kann hier den kompletten Vortrag anschauen.

Was sie sich für Karlsruhe noch wünscht, ist das Zusammenkommen mit etablierten Gründer*innen in einem lockeren Rahmen – ohne Angst und auf Augenhöhe. „Über Tipps zu entsprechenden Treffen in der Region würde ich mich freuen“, sagt die junge Gründerin. „Da traut man sich oft nicht ran, wenn das zu hochkarätig in der Außenkommunikation dargestellt wird. Ich glaube, wenn zu sehr mit Vorstands- und Doktortiteln aufgewartet wird, schüchtert das die Jüngeren ein und sie bleiben eher mal fern, obwohl es eine Win-Win-Situation für beide Seiten wäre. Wir alle brauchen echten Austausch auf Augenhöhe, um uns zu kontinuierlich weiterzuentwickeln.“

Kontakt zu Verena Heusser
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DishDetective App Webseite

Die Autorin der Blog-Serie #DigiWomenKa, Katharina Iyen, studierte Deutsche Literatur und Philosophie in Karlsruhe und Heidelberg sowie Business Management – mit Schwerpunkt Marketing & Medien – in Heilbronn. Sie ist Scheffel-Preisträgerin der Literarischen Gesellschaft am Oberrhein. Als selbstständige Conceptionerin, Copywriterin und Consultant arbeitet Katharina im Digital Marketing. Sie gibt Workshops, hält Vorträge und kreiert Content für digitale Produkte und Services in agilen Teams.
Katharina ist Gründerin der Text-Agentur
EdiCut in Karlsruhe und Mit-Gründerin der Digital-Agentur [BusinessRebels] in Heidelberg. Sie ist Expertin im Tink Tank Coworking-Netzwerk und regelmäßig vor Ort anzutreffen.
Katharina Iyen auf LinkedIn.

Foto: Nasko Flan.