Nach Naturkatastrophen: KIT-Wissenschaftler will Stromversorgung in Großstädten sicherstellen
Nach Hochwassern, Hurrikans oder anderen Naturkatastrophen herrscht in den betroffenen Städten der Ausnahmezustand. Um die Stromversorgung nach solchen Extremwetterereignissen oder einem gezielten Hacker-Angriff möglichst schnell wieder hochzufahren, braucht es dezentrale Netze, die sogenannten Microgrids.
„Die Suche nach optimierten Microgrid-Zuschnitten ist hoch komplex und bedarf neuer Algorithmen, um aus den vorhandenen Daten tragfähige Modelle zu entwickeln“, sagt Sadeeb Simon Ottenburger, Abteilungsleiter am Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit (ITES) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Kopf einer deutsch-amerikanischen Forschungsgruppe zum Thema Microgrids.
Auch Cyber-Attacken können Stromversorgung lahmlegen
„In Deutschland spielen Naturkatastrophen noch keine so große Rolle wie in anderen Ländern“, sagt Ottenburger. Aber es sei nur eine Frage der Zeit, bis die tatsächliche und prognostizierte Zunahme von Extremwetterereignissen auch hierzulande die Diskussion um dezentrale Stromversorgung vorantreibe. Außerdem seien Cyber-Attacken bereits heute eine real existierende Gefahr für die Versorgungssicherheit in Ballungsräumen. „Wenn man Microgrids plant, sollte man das richtig machen“, appelliert Ottenburger. Die richtige Planung steht dabei auch im Zentrum der internationalen Forschungsgruppe. Oder anders gefragt: Wo sollen künftig die Grenzen von dezentralen Stromnetzen gezogen werden?
Gerechte Verteilung des Stroms ist neuer Ansatz
„Wichtige Militärstützpunkte, Industrieanlagen oder Kraftwerke sind bereits heute recht gut vor Katastrophen oder Angriffen geschützt“, weiß Ottenburger. Auch in Karlsruhe kann die sicherheitsrelevante Infrastruktur nach einem großflächigen Ausfall recht schnell durch dezentrale Netze oder Notstromaggregate hochgefahren werden. Ottenburger und seine Mitarbeitenden haben bei der Suche nach zukunftsorientierten Lösungen aber nicht nur strategisch wichtige Punkte einer Großstadt im Blick. „Uns geht es auch um die faire oder gerechte Verteilung der Versorgung“, sagt Ottenburger. Was auch bedeutet: Reichere Stadtviertel dürfen bei der Planung von Microgrids nicht bevorzugt, ärmere Menschen nicht länger als unbedingt notwendig von der Stromversorgung abgeschnitten werden.
Karlsruher Wissenschaftler arbeitet mit Daten aus den USA
Datengrundlage für die Forschungsgruppe bildete eine umfassende Fallstudie nach Stromausfällen während des Hurrikans Florence im September 2018 in New Hanover County im US-Bundesstaat North Carolina.. Die Daten ermöglichten eine Analyse der kritischen Infrastruktur, deren Verwundbarkeit in Verbindung mit der geografischen Verteilung sozial benachteiligter Haushalte und deren Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen. Das Projektteam entwickelte daraus ein universelles Design, das es für jede Stadt ermöglicht, urbane Resilienz umfassend zu bewerten und einen Zuschnitt von Microgrids zu generieren, der technische und soziale Fragen berücksichtigt.
„Für Stadtplaner ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl“, nennt Ottenburger eine Erkenntnis aus der Studie. Einzelne Häuser mit Speicherbatterien für den Notfall auszustatten sei aus technischer Sicht ebenso kein Hexenwerk wie die Einrichtung dezentraler Energienetze mit Solarmodulen oder Blockheizkraftwerken. „Es geht nicht darum, wie man die Microgrids einrichtet“, sagt Ottenburger. „Sondern wo.“
Coverfoto: Dr. Sadeeb Ottenburger, Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology, Karlsruher Institut für Technologie, Allgemeine Services – Crossmedia