Nachhaltig in Bewegung - wie Karlsruhe Mobilität neu denkt

Zum Interview mit Prof. Dr. Pischon

Mobilität in und um Karlsruhe ist sein Spezialgebiet. Wir haben mit Prof. Dr. Alexander Pischon darüber gesprochen, welche Ideen, Technologien und bereits laufenden Projekte die Fortbewegung innerhalb der Stadt in Zukunft prägen könnten. 

Prof. Dr. Alexander Pischon ist seit 2014 Vorsitzender der Geschäftsführung der Verkehrsbetriebe Karlsruhe GmbH (VBK), der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft mbH (AVG) und der Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft mbH (KASIG). Außerdem ist er Alleingeschäftsführer der Karlsruher Verkehrsverbund GmbH (KVV) und Geschäftsführer der Karlsruher Versorgungs-, Verkehrs- und Hafen GmbH (KVVH). Darüber hinaus ist er Mitglied im Präsidium des Branchenverbandes VDV und dort seit 2018 Vorsitzender der baden-württembergischen VDV-Landesgruppe. Seit 2014 ist er auch Mitglied des Policy Boards des internationalen Branchenverbands UITP. 

karlsruhe.digtial (k.d): Sie beschäftigen sich mit Mobilität in all ihren Formen und Möglichkeiten. Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus?

Alexander Pischon (AP): Die Zukunft der Mobilität ist multimodal. Daran arbeiten wir in Karlsruhe Tag für Tag. Klar ist natürlich auch, dass die Zukunft der Mobilität von vielen Faktoren abhängt. Dazu gehören unter anderem die Frage nach der Antriebsart und vor allem die Entwicklung und Implementierung des autonomen Fahrens. Aus Nachhaltigkeitsgründen werden aber auch Car-Sharing- und On-Demand-Angebote noch weiter ausgebaut werden müssen.

Gerade die Schiene wird in Zukunft eine übergeordnete Rolle spielen. Im Hinblick auf umweltfreundlichere Transport-Optionen und die Entlastung vom Straßenverkehr ist die Schiene unverzichtbar. Clevere und digitale Lösungen verknüpfen dann – bereits wie heute in Karlsruhe – die verschiedenen Verkehrsangebote und suchen für die Nutzer*innen den schnellsten, bequemsten und kostengünstigsten Weg an sein Ziel. Mit unserer KVV.regiomove-App stellen wir für unsere Mitfahrenden schon heute die Zukunft in passender Form für jede Hosentasche bereit. 

k.d: Für alle, denen Smart City Karlsruhe als Begriff noch nichts sagt – was versteckt sich dahinter?

AP: Karlsruhe ist ein bundesweit und international bekannter IT- und Wissenschaftsstandort. Eine Smart City nutzt die Digitalisierung, um die Lebensqualität zu verbessern, die Nachhaltigkeit zu fördern und die Effizienz des Stadtbetriebs zu steigern. Dazu gehören intelligente Verkehrsleitsysteme, „Smart Government“ oder eben unsere Regiomove-App, die multimodale Mobilitäts-Lösung für die Hosentasche.

k.d: Warum ist ausgerechnet Karlsruhe so gut als Testfeld für smarte Mobilitäts-Initiativen geeignet?

AP: Karlsruhe ist von seiner Topographie und seinen renommierten Lehr-, Lern- und Forschungseinrichtungen das ideale Testfeld für smarte Mobilitäts-Initiativen. Als Geschäftsführer der Karlsruher Verkehrsunternehmen schätze ich den Austausch und die Zusammenarbeit mit den Mobilitäts-Expert*innen aus den vielen akademischen Einrichtungen hier in Karlsruhe sehr. Zumal die politischen Zielsetzungen in dieser Stadt progressiv und ambitioniert sind. Letztlich geht es um nichts Geringeres als die Stadt zu einem lebenswerteren und nachhaltigen Ort für die Bewohner*innen zu transformieren. 

k.d: Sie haben es schon erwähnt: Ein Ansatz dieser Transformation ist Regiomove. Was verbirgt sich hinter diesem Konzept? 

AP: Regiomove ist ein multimodales Ökosystem bestehend aus einer digitalen Plattform, die verschiedenen Verkehrsmittel in der Region miteinander verbindet. Ziel ist es, öffentliche und private Mobilitätsanbieter zu vernetzen und den Nutzern eine nahtlose Mobilitäts- und Servicekette zu bieten. Mit der KVV.regiomove-App können die Nutzer*innen ihre Reise in Echtzeit planen, buchen und bezahlen, indem sie verschiedene Verkehrsmittel wie Busse, Bahnen, Fahrräder und Carsharing-Dienste kombinieren. Das ermöglicht eine flexible und umweltfreundliche Alternative zum eigenen Auto.

Zug der KVV fährt durch den Schwarzwald über eine Brücke.
Auch Urlauber*innen im Schwarzwald haben in mehr als 142 Städten und Gemeinden Anbindung durch die KVV. Foto: Paul Gärtner, KVV

k.d: Was sind die größten Herausforderungen für den öffentlichen Verkehr derzeit? 

AP: Die größte Herausforderung für den ÖPNV in Deutschland ist aktuell, neben der langfristigen Finanzierungszusage, vor allem der Fachkräftemangel. Wir brauchen Straßenbahn- und Busfahrer*innen in unseren Fahrzeugen und Handwerker*innen in unseren Werkstätten. Bis 2030 werden in der gesamten Branche rund 80.000 Beschäftigte („Baby Boomer“) in den Ruhestand gehen – und die Bus- und Bahnunternehmen haben einen besonders hohen Boomer-Anteil, da die Branche über Jahre hinweg wegen politischer Sparvorgaben kaum Nachwuchs einstellen konnte. Für die Verkehrswende müssen bis 2030 110.000 neue Beschäftigte in Deutschland eingestellt werden. Auch bei VBK und AVG müssen im kommenden Jahr 150 neue Mitarbeiter*innen eingestellt werden. 

k.d: Wie können Karlsruher:innen sich aktiv bei den Smart Mobility-Projekten einbringen?

AP: Den Karlsruher Bürgern kann ich nur empfehlen, unsere KVV.regiomove-App auf Ihre Endgeräte zu laden und zu nutzen. Sie können damit Ihre Fahrten von Haustür zu Haustür mit verschiedenen Verkehrsmitteln planen lassen. Das ist in Deutschland fast einzigartig. Darüber hinaus ist die Nutzung des per Regiomove-App spontan buchbaren On-Demand-MyShuttle-Angebots heute schon eine smarte Art der Fortbewegung. Auch bei zukünftigen Forschungsprojekten werden voraussichtlich sogar wieder aktive Mitfahrmöglichkeiten entstehen, wie wir sie bei den autonomen, elektrischen, On-Demand EVA-Shuttles im Karlsruher Stadtteil Dammerstock schon mehrmals in den vergangenen Jahren angeboten haben.

k.d: Was ist Ihre Vision für die Mobilität in Karlsruhe in den nächsten zehn Jahren? Was hindert Sie derzeit und was brauchen Sie um die Vision zu verwirklichen?

AP: Für die nächsten zehn Jahre ist meine Vision für die Mobilität in Karlsruhe, dass wir den Fachkräftemangel in den Griff bekommen und jede Bahn wieder pünktlich fährt. Auch wenn sich die politische Großwetterlage als sehr schwierig gestaltet, finde ich es gut, dass das Land Baden-Württemberg an der Zielmarke festhält, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln, um die erforderlichen Klimaziele zu erreichen. Wir wollen mit unserer Mannschaft und unseren modernen, elektrischen Fahrzeugen helfen, dieses Ziel zu verwirklichen. Natürlich ist die Weiterentwicklung zu mehr multimodaler Nutzung des ÖPNV und damit weniger Individualverkehr ein Ziel, das wir mit unseren Karlsruher Verkehrsunternehmen verfolgen, um die Klimaneutralität des Verkehrs zu erreichen. Dies sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig. Darüber hinaus bereiten wir mit dem Testfeld „Autonomes Fahren“ den Boden für die Mobilität von Morgen, autonomes, geshartes Fahren auf der Schiene und der Straße wird ein entscheidender Schritt auf diesem Weg sein.

k.d: Momentan denken wir, wenn wir ÖPNV hören vor allem an Straße und Bahnen. Welche Bedeutung wird die Fortbewegung in der Luft künftig haben?

AP: Die Luft hat heutzutage auf Fernstrecken und aus ökologischer Sicht leider auch auf Kurzstrecken eine große Bedeutung. Inwieweit im innerstädtischen Verkehr der Luftraum von Fahrzeugen, in welcher Art auch immer, erobert wird, hängt maßgeblich von der Nachhaltig- und Wirtschaftlichkeit des jeweiligen Verkehrsmittels ab. Sie können auch heute schon in großen Städten und Ballungszentren per Hubschrauber reisen. Dafür müssen Sie aber tief ins Portemonnaie greifen.

k.d: Sie sind nun auch Honorarprofessor am KIT. Wie kam es dazu? Wie beurteilen Sie die Kommunikation mit den Studierenden? Profitieren Sie davon?

AP: Meine Honorarprofessur habe ich im letzten Jahr erhalten, nachdem ich bereits acht Jahre Vorlesungen am KIT gehalten habe. Hierzu musste ich einiges nachweisen und wurde durch zwei externe Gutachten durch ein Gremium des KIT berufen. Ich lehre dort zu den Themen Organisation, Vergaben und Finanzierung im öffentlichen Personenverkehr in Deutschland. Es handelt sich um eine Master-Vorlesung, an der in jedem Sommersemester rund 40 Student*innen teilnehmen. Die Kommunikation mit den Student*innen ist sehr gut. Wir machen zwei bis drei Exkursionen pro Semester, bei denen man sich auch besser kennenlernen kann. Einige Student*innen kann ich jeweils nach den Prüfungen gewinnen, die danach als Werkstudent*innen oder fest bei uns in den großen Projekten mitarbeiten. Ich denke, wir profitieren auf beiden Seiten von dieser Zusammenarbeit. Den Student*innen kann ich einen praktischen Einblick geben und gleichzeitig werben für unsere interessanten Arbeitsplätze bei VBK, AVG, TTK und KVV.

k.d: Wie beurteilen sie den Erfolg der U-Strab?

AP: Mein Resümee zur Karlsruher U-Strab ist sehr positiv. Die Verlagerung unserer Straßenbahnen in den Untergrund hat die Kaiserstraße nachhaltig entlastet. Gerade von der betrieblichen Seite sind wir jetzt in der Innenstadt deutlich schneller und verlässlicher. Allein den Südabzweig von der Kaiserstraße in Richtung Hauptbahnhof und zurück passieren in den Hauptverkehrszeiten heute bis zu 70 Bahnen pro Stunde.

Die Fußgängerzone kann sich nun nach und nach zu einer attraktiven Flaniermeile mit einer hohen Aufenthaltsqualität wandeln. Karlsruhe hat durch die sieben Haltestellen hell erleuchtete und ansprechende Mobilitätszonen im Großstadtdschungel geschaffen. Für das herausragende Lichtkonzept wurden die VBK beispielsweise neben anderen renommierten Architekturpreisen von der UITP mit dem Design-Award ausgezeichnet. Damit hat sich Karlsruhe 2023 gegen die Megametropolen Hong Kong und Wien sowie gegen die Network Rail UK durchgesetzt. Darüber hinaus ist die Karlsruher U-Strab Vorbild für das Salzburger S-Link-Projekt, wo die Salzburger Lokalbahn vom Hauptbahnhof bis nach Hallein verlängert werden soll. Ein Teil der Strecke soll ebenfalls unterirdisch verlaufen. Österreichische Expert*innen waren dafür jüngst bei uns zu Gast.

k.d: Sie waren Eventpartner für die Bunte Nacht der Digitalisierung – warum machen Sie da mit/ Wie kam diese Kooperation zustande?

AP: Für uns als Karlsruher Verkehrsgesellschaften ist es wichtig, im Stadtgeschehen bei solchen Events präsent zu sein. Solche Veranstaltungen wie die Bunte Nacht der Digitalisierung sind immer wieder eine wunderbare Sache, um für uns und unsere Dienstleistungen zu werben. Die Nutzung des ÖPNV war für die Besucher der Bunten Nacht der Digitalisierung in der Wabe 100 kostenlos. Gleiches galt auch für die Nutzung von KVV.nextbike. 

Vielen Dank für das Gespräch.