Karlsruher CCC-Ableger Entropia: Das Streben nach einem freien und sicheren Netz

Foto von Besucherinnen und Besuchern der Gulaschprogrammiernacht 2017 - Bild: Entropia

Ein Taschenrechner und 31 Zeilen der Programmiersprache Basic: Mehr benötigten die beiden Hacker Wau Holland und Steffen Wernéry vor 35 Jahren nicht, um die Hamburger Sparkasse in einer Nacht-und-Nebel-Aktion um fast 135.000 Euro zu erleichtern. Weil die beiden Gründungsmitglieder des Chaos Computer Club (CCC) das Geld bereits am nächsten Werktag zurückgaben und kurz darauf im öffentlich-rechtlichen Fernsehen medienwirksam auf die Sicherheitslücken in Kommunikationssystemen aufmerksam machten, waren die Hamburger Hacker bereits wenige Tage nach ihrem Coup in ganz Deutschland bekannt.

Für den Karlsruher Hacker Christian Lölkes ist der legendäre Sparkassen-Hack auch 35 Jahre nach dem ersten offenen CCC-Kongress, dem Chaos Communication Congress am 27. Dezember 1984 in Hamburg, ein Musterbeispiel für den schmalen Grat zwischen einem sinnvollen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit und einer Straftat. „Wenn Hacker auf Fehler im System aufmerksam machen wollen, müssen sie manchmal auch Grenzen überschreiten und Sicherheitslücken durch praktische Beispiele aufdecken“, sagt der Computerexperte des Hackervereins Entropia, dem Karlsruher Ableger des CCC.

Entropia bietet Gulasch und Vernetzung für die Karlsruher Hackerszene

Entropia ist ein loses Netzwerk für Hacker und Haecksen. Ein Leuchtturmprojekt des Vereins ist die Organisation der jährlichen Gulaschprogrammiernacht, die auch 2020 wieder in den Räumlichkeiten von ZKM I Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe und HfG Karlsruhe stattfinden wird. Dabei treffen sich jedes Mal weit über 1.000 Technikbegeisterte aus ganz Europa, lauschen Vorträgen und nutzen das Event zum gemeinsamen Netzwerken, Basteln und Tüfteln. Eine weitere Besonderheit des Karlsruher CCC-Ablegers sind die regelmäßigen Haecksen-Treffs für weibliche Vereinsmitglieder und Unterstützerinnen.

Die Grundwerte des CCC und seiner zahlreichen Regionalgruppen wie das Streben nach einem sicheren und freien Netz haben laut Lölkes auch knapp zwei Jahrzehnte nach der Gründung von Entropia noch Bestand. „Die Hackerszene ist extrem gut vernetzt. Man kennt sich und tauscht Erfahrungen aus“, betont Lölkes.

Blick auf einen großen Raum, in dem auf Sofas viele Menschen in Grüppchen sitzen. Bild von der Gulaschprogrammiernacht 2019 von @HDValentin
Besucherinnen und Besucher der Gulaschprogrammiernacht 2019.
Bild: @HDValentin

Basisdemokratie und das Streben nach Verbesserung

Außerdem herrsche innerhalb der Szene ein basisdemokratisches Miteinander – die meisten erfolgreichen Hacks würden deshalb nicht von Einzelpersonen, sondern vom CCC initiiert und begangen. „Natürlich gibt es auch in der Hacker-Szene schwarze Schafe. Aber die sind meistens sehr schnell isoliert“, so Lölkes. Wer funktionierende Strukturen durch das Einschleusen von schädlicher Software zerstöre, sei schließlich kein Hacker, sondern ein Cyberkrimineller.

Echte Hacker und Haecksen sind laut Lölkes stets an der Verbesserung des Status quo interessiert. Eine 100-prozentige Sicherheit könne in der Informationstechnologie aber auch in Zukunft niemand garantieren. „Der größte Unsicherheitsfaktor ist in vielen Systemen immer noch der Mensch“, stellt Lölkes klar. So lange menschliche Computer-Nutzerinnen und -Nutzer sorglos mit ihren Daten umgingen und Sicherheitsvorgaben missachteten, könnten viele Systeme mit relativ geringem Aufwand geknackt werden.

Zwei gelbe Mützen, die von hinten beleuchtet sind. Auf den Mützen ist das sogenannte Pesthörnchen gedruckt, das Logo des CCC. Bild: @ElektrollArt
Logo des CCC: Das Pesthörnchen.
Bild: @ElektrollArt

Bedrohungen für ein freies Internet

Als große Bedrohung für die Vision eines freien Internets sieht Lölkes mittlerweile die Konzentration wichtiger Dienste auf wenige große Anbieter wie Google, Amazon oder Facebook. „Diese Unternehmen setzen heutzutage die Standards, nach denen sich alle Leute richten müssen. Deshalb braucht es wieder mehr mutige Akteure, welche die technischen Entwicklungen vorantreiben“, appelliert Lölkes. Dadurch könne das Internet auch wieder offener gestaltet werden. Von der Bundesrepublik Deutschland erhielten Gemeinschaften wie der CCC bei ihrem Kampf für eine demokratische Netzstruktur bislang aber zu wenig Unterstützung.

Die zunehmende Verrohung des Umgangstons in virtuellen Foren und in den sozialen Medien ist für Lölkes dagegen ein gesamtgesellschaftliches Problem. „Das Internet ist nicht böse. Böse sind nur manche Menschen, die es nutzen“, betont Lölkes. Leute, die in bestimmten Diskussionen Hassbotschaften verbreiteten, einfach zu sperren oder die Nachrichten zu löschen, seien deshalb lediglich Feigenblätter auf den aktuellen Debatten, so Lölkes: „Wenn sich die Leute auf dem Schulhof oder der Straße weiterhin anpöbeln, ist das Problem schließlich noch lange nicht gelöst.“